
Wir müssen Geduld und Zeit für jeden „Bauabschnitt“ aufbringen. Kein Schritt darf übersprungen werden. Auf den rohen Mauern hält die Tapete nicht. Harmonie durch körperliche Zärtlichkeit ohne den Untergrund von vielleicht mühsamen Gesprächen hält auch nicht. Wir haben Zeit für eine tragfähige Konstruktion, weil wir unser ganzes Leben in diesem Haus verbringen wollen.
Wird ein Bau vernachlässigt, ist das bald sichtbar. Wir müssen in unserer Beziehung die Augen offen halten, um drohende Schäden schnell zu erkennen. Zum Beispiel: Denke ich nur an meine Pläne, oder denke ich auch an die Selbstverwirklichung und die Gefühle des anderen?
Kein Zusammenleben geht ohne Kompromisse. Mit dem Wachsen unserer Beziehung müssen wir letztlich dazu bereit sein, uns selbst zu verändern. Will ich mich darauf einlassen? Ich ahne: Zu zweit kann ich nicht das bleiben, was ich allein bin. Zu zweit kann ich das werden, was ich allein nicht sein könnte. Hier liegen das Wagnis und die ungeheure Chance der Ehe.
Ich kann mich Wilfried gegenüber öffnen, wie ich es in anderen guten Freundschaften nur stückweise kann. Denn er hat ein Ja zu mir gesagt, auf das ich mich verlassen kann - auch wenn meine Fehler immer mehr auftauchen! In diesen Momenten muss ich bereit sein, meine Fehler einzugestehen, und versuchen, sie zu überwinden. Ich lasse oft meine Ungeduld an meinem Partner aus und schimpfe wegen Kleinigkeiten mit ihm. Wenn er sich über mein unbeherrschtes Verhalten beklagt, weiche ich aus, indem ich ihm seine eigenen Fehler Vorhalte. Darunter leide ich.
Wilfried und ich haben schon jetzt erfahren, dass unsere Liebe nicht ausreicht als ständiger Antrieb, um so miteinander umzugehen, wie wir es uns wünschen. Dass Jesus uns die Kraft gibt, um Verzeihung zu bitten und selbst rückhaltlos zu verzeihen, das eröffnet uns die Chance, in echtem Frieden miteinander zu leben und auch nach Verletzungen wieder neu anzufangen. Ich merke: So ein gegenseitiges Verzeihen ist nötig; denn das gemeinsame Leben ist die härteste Konfrontation zwischen dem Scheinbild von mir und dem Partner, zwischen seinem und meinem wirklichen Wesen.
Darin fanden wir uns von einem Zürcher Arzt und Psychotherapeuten bestätigt, der schreibt: „Die Ehe dauert bis zum Tode; mit dieser Absicht wird sie eingegangen. Die unausweichliche lebenslängliche Konfrontation ist ihr tiefer Sinn. Der Individuationsweg der Ehe besteht darin, dass man nicht die Möglichkeit hat, der Auseinandersetzung mit sich und dem Partner auszuweichen, auch dann nicht, wenn es schwierig und unangenehm wird“. Darin sehen wir einen Freiraum, Schwierigkeiten wirklich durchzustehen und daran zu reifen, statt zum Beispiel in andere Beziehungen auszuweichen. - Wir behaupten nicht, dass das einfach ist.
Uns fällt auf, dass unsere Liebe mit der Zeit tiefer und stärker geworden ist. Uns ist aber bewusst, dass wir in unserer Gemeinschaft nicht die völlige Erfüllung finden können. Die Erwartung vollkommenen Glücks führt zu gegenseitiger Überforderung oder zu tödlicher Abhängigkeit. Unsere Liebe zueinander ersetzt nicht Gottes Liebe zu uns, die das tiefste Bedürfnis nach Vertrautheit und Geborgenheit stillt.